Woche der seelischen Gesundheit: So hilft gute Nachbarschaft gegen Einsamkeit

Bild: nebenan.de

Laut dem Aktionsbündnis „Seelische Gesundheit“ leidet fast jeder fünfte der 30-60 Jährigen unter Einsamkeit, Tendenz steigend. Einsamkeit kann sich bedrohlich auf unsere seelische Gesundheit auswirken. Wie eine gute Nachbarschaft dem entgegen wirken kann, erzählt Michael Vollmann, Mitgründer von nebenan.de, im Interview.

Michael, inwiefern ist die Nachbarschaft für unser seelisches Wohl wichtig?

Wir sind heutzutage global vernetzt und können über soziale Medien mit Menschen in der ganzen Welt kommunizieren. Doch diese Kommunikation hilft nicht unbedingt dabei, dass wir uns als Teil einer sich unterstützenden Gemeinschaft fühlen.

Bekanntschaften aus dem direkten Umfeld sind dagegen ein effizientes Mittel gegen Einsamkeit.

Mit Kontakten aus dem eigenen Viertel oder der eigenen Nachbarschaft kann man sich am selben Tag spontan zum Sport verabreden – der Bekannte aus Mallorca muss wahrscheinlich absagen. Anders als die Freunde in der Ferne können Nachbar*innen z.B. einspringen, um kurz auf die Kinder aufzupassen oder auch bei ganz akuten Problemen direkt helfen. Wenn ich zum Beispiel mit gebrochenem Bein im Bett liege, kann mir jemand aus der Nachbarschaft etwas vom Supermarkt mitbringen. Diese räumliche Nähe verbindet auch emotional.

Wie können nachbarschaftliche Projekte dazu beitragen, unsere Städte menschlicher zu machen und Ausgeschlossene zu integrieren?

In den letzten Jahren habe ich eine Entwicklung beobachtet, die mir Sorge bereitet: Veranstaltungen, die nicht kommerziell sind, werden weniger. Gleichzeitig ist das Engagement in Verbänden und Vereinen rückläufig, Kirchen leiden unter starkem Mitgliederverlust. Zusätzlich bestellen viele Menschen lieber online, anstatt in der direkten Nachbarschaft einkaufen zu gehen. So wird es weniger wahrscheinlich, dass sich Menschen zufällig in ihrem unmittelbaren Umfeld begegnen.

Nachbarschaftliche Projekte hingegen vermitteln den Beteiligten das Gefühl, im Rahmen einer Gemeinschaft gebraucht zu werden, und schaffen einen Ort für Begegnungen und Austausch. Sie können Bewohner*innen eines bestimmten geografischen Raumes, unabhängig von Alter oder sozialer Zugehörigkeit, zusammenbringen. So werden Vorurteile abgebaut, vermeintlich Ausgeschlossene integriert und es entstehen neue Freundschaften. Unsere Städte werden dadurch ein ganzes Stück menschlicher. 

Einsamkeit erhöht das Risiko für Stress, der sich negativ auf die seelische Gesundheit auswirken kann. Welche Chancen bietet die Nachbarschaftsplattform nebenan.de, die seelische Gesundheit seiner Nutzer nachhaltig zu stärken?

Welttag der seelischen Gesundheit

Die große Stärke von nebenan.de ist das Prinzip der Zufallsgemeinschaft. Das heißt, dass man sich seine Kontakte nicht selbst aussucht, sondern seiner Nachbarschaft zugewiesen wird. So entsteht eine heterogene Gruppe, deren Zusammensetzung sich ständig ändert. Selbstdarsteller*innen sind auf unserer Plattform fehl am Platz. Vielmehr versuchen unsere Nutzer*innen, sinnvolle gemeinschaftliche Projekte wie das Anlegen eines urbanen Gartens auf die Beine zu stellen. Laut diverser Studien macht derartiges Engagement glücklich und gesund.

Hinzu kommen die unzähligen kleinen Begegnungen im Alltag, zum Beispiel durch das Verleihen von Werkzeug, Kinderspielsachen oder Küchengeräten. Solche kleinen Gesten führen zum persönlichen Kontakt und dazu, dass wir uns zu einer Gemeinschaft zugehörig fühlen.

Aus Fremden werden wieder Nachbarn und zum Teil Freunde. Oder sogar Ehepartner – auch das ist schon passiert! Solche Begegnungen haben sicherlich eine positive Auswirkung auf die seelische Gesundheit.    

Was kann jeder Einzelne dazu beitragen, das Miteinander in seiner Nachbarschaft ein wenig sozialer und gesünder zu gestalten?

Offenheit ist der Schlüssel. Das beginnt für mich schon mit einer einfachen Begrüßung im Treppenhaus. Versuchen Sie doch einfach mal, mit den Nachbar*innen ins Gespräch zu kommen. Glauben sie mir, die meisten Menschen freuen sich, wenn man Interesse an ihrem Leben zeigt. Zudem können sich alle die Frage stellen: 

Was kann ich an Fähigkeiten in diese lose Gemeinschaft einbringen?

Kann ich zum Beispiel Fahrräder reparieren und damit der alleinerziehenden Mutter im Haus eine Freude machen? Kann ich ein Hoffest organisieren oder einen kleinen Flohmarkt?

Die Summe all dieser Kleinigkeiten spannt ein Netz aus engagierten Nachbar*innen, das zum Mitmachen motiviert. Gewissermaßen bestätigt die „Broken-Windows-Theory“ dieses Phänomen. Diese besagt, dass wir das Stimmungsbild unserer Nachbarschaft bzw. das Verhalten unserer Nachbar*innen adaptieren. Die Theorie geht jedoch von einer Verkettung negativer Ereignisse aus. Im Gegensatz dazu wirkt sich die aktive Beteiligung im Viertel wie eine positiv Spirale auf die gesamte Nachbarschaft aus. 

Engagement führt demnach zu mehr Engagement.

In Deutschland fühlen sich immer mehr Menschen einsam. Wie könnten wir diesem Trend entgegenwirken?

Meiner Meinung nach müssen wir uns dem Phänomen Einsamkeit auf zwei Ebenen entgegenstellen. Einerseits sehe ich die Politik in der Verantwortung, das Angebot nicht-kommerzieller Gemeinschaften zu fördern. Großbritannien zum Beispiel hat der Einsamkeit bereits den Kampf angesagt; dort wurde im Jahr 2018 mit Tracey Crouch die erste Einsamkeitsministerien ernannt. Daneben muss die Politik Anreize für soziales Engagement schaffen und genau dieses auch sichtbar honorieren. Dass sich zudem etwas an der miserablen Bezahlung sozialer Berufe ändern muss, liegt auf der Hand.

Anderseits steht unsere Gesellschaft ein weiteres Mal vor großen Veränderungen. Die zunehmende Automatisierung wird unser Verständnis von Arbeit und Zeit fundamental verändern. Sollte sich unsere Arbeitszeit dadurch reduzieren, werden wir alle künftig mehr Freizeit haben. 

Es wäre doch wünschenswert, wenn wir diese in Zukunft mit den Menschen von nebenan teilen. Das hätte viele positive Effekte – auch auf unsere seelische Gesundheit.

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Luis Arteaga | nebenan.de

Luis Arteaga arbeitet seit Oktober 2019 bei nebenan.de. Zuvor war er als Literaturagent mit Fokus auf den Kind- und Jugendbuchmarkt tätig.